Um bedrohtes Handwerk zu schützen, entwickelt die Deutsche Manufakturenstraße positive Szenarien und orientiert sich dabei an einem britischen Modell.
Kennen Sie noch die Fernsehserie „Die Letzten ihrer Art“? Sie wurde von der BBC im Jahr 2009 produziert. Das Format über einen Road-Trip zu den letzten Wildtieren rund um den Globus ging auf ein Buch zurück, das der englische Schriftsteller Douglas Adams mit dem Zoologen Mark Carwardine herausgegeben hatte. Der Fotoband handelte von einer Reise zu den am stärksten bedrohten Tierarten der Welt und führte nach Madagaskar, Indonesien, Neuseeland, Zaire, die Volksrepublik China und Mauritius. Das Artensterben im Bereich der Tier- und Pflanzenwelt ist ein trauriger Fakt. Und es gilt neben der Klimakrise als die größte Bedrohung für unseren Planeten und unser eigenes Leben.
Doch nicht nur die biologische Welt verschwindet lautlos, auch das spezielle tradierte Wissen in der materiellen Welt. Im Handwerk zum Beispiel sterben jedes Jahr schöne, spezialisierte Gewerke, die offenbar niemand mehr braucht – oder denen jedenfalls die Businessmodelle ausgehen. Da Handwerk ganz extrem personengebunden ist, stirbt das zugehörige Wissen schlechterdings mit denjenigen Handwerksbetrieben weg, die aufgeben müssen oder eben die „Letzten ihrer Art“ sind.
Der Schutz immateriellen Kulturerbes ist zahnlos
Zum Schutze dieser Erosion der Fähigkeiten gibt es ja eigentlich die UNESCO-Kommission, die sich um den Immateriellen Kulturgüterschutz kümmert. Doch kümmert sie sich? Nun ja, wir sollten nicht zu viel erwarten: Zum Immateriellen Kulturerbe der UNESCO zählen regional verankerte Bräuche, Rituale, Feste, Lieder, Musiktraditionen, Theater und Tänze,-Praktiken, verankertes Wissen im Umgang mit der Natur und dem Universum sowie – ja, dann auch noch – traditionelle Handwerkstechniken. Das traditionelle Handwerk ist demnach eine Sparte unter vielen.
Das ist zu wenig – denn: Von der Porzellanmalerei bis zum Blaudruck, von der Weberei bis zum Reetdachdecker-Handwerk verfügen wir in Deutschland über eine unglaubliche Bandbreite an traditionellen Handwerkskompetenzen und über einige der besten Handwerker der Welt. Doch diese Fähigkeiten liegen oft in den Händen von kleinen Manufakturen und wenigen Einzelpersonen. Viele von ihnen waren in der Vergangenheit nicht in der Lage, ihr Erfahrungswissen weiterzugeben. Auch aktuell sind zahlreiche Handwerksbereiche in ihrer Existenz bedroht, sodass die Weitergabe von Wissen und Können anderweitig sichergestellt werden muss.
Die erstmals im Jahr 2024 veröffentlichte Rote Liste gefährdeter Handwerke der Deutschen Manufakturenstraße ist nun das erste Archiv dieser Art in Deutschland, das traditionelle Handwerksberufe nach der Wahrscheinlichkeit bewertet, inwieweit sie es schaffen können, in der nächsten Generation zu überleben. Es orientiert sich in der Kategorisierung an derjenigen der britischen „The Heritage Crafts Association“, die dieses Format erfolgreich im Sinne des UNESCO-Kulturerbeschutzes entwickelt hat. Die Klassifizierung soll dazu beitragen, die Bedeutung gefährdeter Handwerkstechniken auch im Kontext des immateriellen Kulturerbeschutzes der UNESCO zu hervorzuheben – so sieht man einmal, was es alles gibt (und nicht mehr gibt).
Die (neue) rote Liste des Handwerks
Ziel der Liste gefährdeter Handwerke ist es, traditionellen Handwerkspraktiken mehr Sichtbarkeit zu geben, die durch eine Reihe erkennbarer Probleme bedroht sind. Die Deutsche Manufakturenstraße hofft, dass diese Forschung ein Aufruf zum Handeln an diejenigen sein wird, die die Möglichkeit besitzen, neue, zukunftsweisende Infrastrukturen zum Erhalt des handwerklichen Kulturerbes zu schaffen.
Für die erste Auflage der Liste, die regelmäßig aktualisiert wird, wurden zwischen September 2023 und Februar 2025 über 500 Organisationen und Einzelpersonen direkt per E‑Mail und Telefon kontaktiert und eingeladen, an der Forschung mitzuwirken. Die Teilnehmer wurden gebeten, Hintergrundinformationen zu jedem Handwerk bereitzustellen, wie etwa seine Geschichte, Techniken und lokale Formen sowie aktuelle Zahlen.