Der Craft Atlas Ethiopia ist eine vom Meisterrat entwickelte Online-Plattform, die die traditionellen Kunsthandwerker und die sich mit ihnen verbindenden Kulturgüter in und aus Äthiopien sichtbar macht; die vormals kaum sichtbaren Kunsthandwerker werden online kartographiert und fotografisch und redaktionell portraitiert und können nun gefunden werden.
Der Craft Atlas Ethiopia möchte den Nord-Süd-Dialog fördern und die einzelnen afrikanischen Kunsthandwerker bekannter machen, bedrohte Kulturschätze bewahren und Anstoß zu internationalen Kooperationen geben.
Traditionelles Handwerk in Äthiopien
Das traditionelle Handwerk spielt in Äthiopien eine besondere Rolle. Handwerkliche Arbeiten wie Spinnen, Weben oder auch Leder herstellen haben in Äthiopien eine lange Tradition. Überall vor Ort kann man hochwertige, gewebte Tücher kaufen und geflochtene Körbe – das traditionelle Handwerk ist somit ein alltäglicher, lebensbegleitender
Wirtschaftsfaktor. Gleichzeitig existieren in Äthiopien auch Handwerkskünste, die fast nur noch in Äthiopien gepflegt werden, wie etwa die traditionelle Manuskriptkunst auf Pergamentpapier. Dieses immaterielle Kulturerbe, und mit ihm verbunden die Kunst der Kalligraphie, der Illustration sowie der Buchbinderei, sind allerdings in ihrem Fortbestand akut bedroht durch die expandierende Industrie.
Da Äthiopien nicht über einen ausgestalteten Kulturgüterschutz verfügt und aktuell durch die kriegerische Auseinandersetzung im Tigray-Konflikt besonders gefährdet ist, ist auch das traditionelle Handwerk (und die Menschen, die es pflegen) einer sehr schweren Situation ausgesetzt. Der Craft Atlas Ethopia ist als Online-Portal so gestaltet, dass seine Funktionen gezielt das traditionelle Handwerk unterstützen können. Um ein mittel- bis langfristiges Fortbestehen zu fördern, ist es notwendig, die spezifischen Charakteristika des Handwerks zu verstehen.
Die Handwerker sprechen keinen Massenmarkt an; entsprechend ist ihr werblicher Radius und ihre öffentliche Sichtbarkeit begrenzt, sowohl in der Werbung als auch im Handel.
Die Handwerker sind nicht als solche organisiert. Entsprechend fehlt es an einer gebündelten Artikulation der wirtschaftspolitischen Interessen der Manufakturen, die anders gelagert sind als die der Industrie. Traditionelle Handwerksberufe sind auf Selbstständigkeit ausgerichtet. Eigentum und Betriebsleitung bildeten eine Personeneinheit. Handwerker führen ihr Unternehmen zum Zwecke der Sicherung des Lebensunterhaltes, Manufakturen als größere Einheit sind oft familiengeführt. Vor allem die berufsethische Haltung der traditionellen Handwerksbetriebe ist für die Gesellschaft von weitreichender Bedeutung und Wirkung.In keiner anderen Erscheinungsform des Wirtschaftslebens sind die ökonomischen und sozialen Aufgabenbereiche so verbunden wie im
traditionellen Handwerk. Handwerksunternehmen kaufen einen großen Anteil ihrer Rohstoffe in der Region und setzen somit verstärkt eine Orientierung auf ökologische Potenziale der Region.
Die systematische Lehrlingsausbildung ist ein wesentliches und auch unersetzliches Charakteristikum des qualitativen Handwerks. Wissen und Fertigkeiten werden von Generation zu Generation weitergegeben. Kopf und Hand spielten durch Ausdruck und Verständnis zusammen. Dieses »Wissenskapital« über die persönliche Weitergabe gilt als ökonomisches Potenzial des kleinen Handwerksbetriebs.