Interview: Deutsche Werkstätten Hellerau

Jan Jacobsen, Deutsche Werkstätten Hellerau

Pascal Johanssen im Gespräch mit Jan Jacobsen, Geschäftsführer der Deutschen Werkstätten Hellerau.

Die Deutschen Werkstätten Hellerau gibt es seit 1898. Wie haben es die Werkstätten geschafft, bis heute so relevant zu sein?

Es war ein großes Glück, dass Fritz Straub nach der Wende 1992 die Werkstätten übernommen hat und sich entschied, hier nicht mehr die Möbelproduktion fortzusetzen, sondern auf individuelle Projekte zu setzen. Den Grundstock bildeten damals die besten Tischler der DDR: die „Abteilung Sonderfertigung“. Wir haben mit öffentlichen Projekten angefangen und wurden immer besser. Seine Losung, sein Gleichnis für Leben und Erfolg, war immer das Bild einer Leiter, die man hinaufsteigt und immer weiter emporklettert. Plötzlich brechen die überwundenen Sprossen. Man merkt, man kann nicht zurück. So haben wir uns weiterentwickelt: von den öffentlichen Projekten hin zu individuellen Aufträgen für Privatkunden. Die Deutschen Werkstätten Hellerau bringen Handwerk und HighTech zusammen.

Wie zum Beispiel?

Wir sind keine rückwärtsgewandte Schaumanufaktur, in der Männer mit weissen Bärten arbeiten. Was in der Tischlerei mit Maschinen gemacht werden kann, machen wir maschinell, dort wo Digitalisierung Sinn macht, arbeiten wir digital. Unser Durchschnittsalter im Unternehmen ist 35 Jahre. Aber wir benötigen Beides: erfahrene Tischler und junge Programmierer. Wir haben einen sehr hohen Anteil an Meistern, die wissen wie man mit Holz umgeht, die auch Kollegen anleiten können, die seit vielen Jahren loyal im Unternehmen arbeiten. Dazu brauchen wir die jüngeren Kollegen, die wissen, wie man aufwändige 3D-Konstruktionen digital aufbaut. Wenn man jährlich 6 bis 8 hochkomplexe Projekte gleichzeitig mit einer Mannschaft von 300 Mitarbeitern bearbeitet, dann sollte man wissen was man tut.

Urushi Kabinettschrank

Die Werkstätten sind vor allem bekannt für individuelle Projekte: Bootsausbau, Innenausstattung, Züge...

Dieses Projektgeschäft ist in der Tat sehr anspruchsvoll, aber nicht nur technisch, sondern auch in Bezug auf den Personaleinsatz und die Wirtschaftlichkeit. Wir haben zum Teil Projektlaufzeiten von zwei bis drei Jahren. Die Teams dafür muss man zusammenhalten – und gleichzeitig flexibel auf die Anforderungen des Geschäfts reagieren.

Gerade bei den jüngeren Mitarbeitern könnte das schwierig sein, oder?

Das fängt in der Tischlerei bereits an, in der Fertigung, bei den Gesellen. Wir bilden ja auch aus, jedes Jahr 7 Lehrlinge bis zum Gesellen innerhalb von drei Jahren. Dadurch haben wir zu jedem Zeitpunkt 21 Lehrlinge und viel Bewegung: Auszubildende bei uns im Betrieb werden zu Gesellen, viele machen ihren Meister und gehen dann auch schon einmal auf die Wanderschaft, auf die Walz. Andere wollen sich die Welt anschauen oder studieren – da gibt es jede Menge bunte Lebenswege. Wir sind froh, dass viele wieder zurückkommen, denn für uns ist es entscheidend, so ein Team aus 300 Mitarbeitern steuern zu können. Und dabei wachsen wir auch noch weiter.

Deutsche Werkstätten, Organische Möbel aus Massivholz, europäische Eiche

Wie schaffen Sie das?

Wenn wir das Thema Engineering als Beispiel nehmen: Die Absolventen, die von Hochschulen wie Hildesheim oder Rosenheim zu uns kommen, sind für unsere Bedürfnisse noch nicht voll einsatzfähig. Also durchlaufen sie ein betriebliches Trainingsprogramm. Derzeit laufen Planungen für die Gründung einer eigenen Akademie, wo wir unsere Mitarbeiter auf unserem Deutsche Werkstätten Campus fortbilden können. Hier entstehen auch gerade interessante Vernetzungen von Unternehmen aus der Region, die Interesse haben, ihre Auszubildenden zu uns zu schicken.

Gehen wir etwas aus dem Horizont der Deutschen Werkstätten Hellerau hinaus: Denken Sie, dass Manufakturen innerhalb unseres Wirtschaftsgefüges eine besondere Rolle übernehmen können? Was können Manufakturen „für eine bessere Welt“ beitragen?

Deutsche Werkstätten Hellerau, Außenansicht

Ich bin der festen Überzeugung, dass Manufakturen eine besondere Rolle spielen können. Und zwar aus folgendem Grund: Ich sehe ganz klar, dass unsere gebaute Umwelt und überhaupt die gesamte materielle Umwelt, alles was wir sehen oder anfassen können, uns zu besseren oder zu schlechteren Menschen macht. Ein Bespiel: Wir haben einmal einen Zug gebaut, den Metropolitan Express Train (MET) für die Deutsche Bahn in Zusammenarbeit mit gmp Architekten Gerkan, Marg und Partner. Ziel war es, einen erstklassigen Geschäftsreisezug zu entwerfen, um geschäftliche Vielflieger aus dem Flugzeug auf die Schiene zu bekommen. Dieses Projekt wurde zwar nach dem Bau von zwei Zügen gestoppt, aber interessant war Folgendes: Die beiden von uns ausgebauten Züge verkehren auch heute noch und man kann dort erleben, wie man in wirklich schönen Zügen fahren kann! Die Abteile sind mit feinstem Birnbaumholz ausgestattet, es gibt bequeme Ledersitze....ich sage Ihnen, in solchen Waggons brüllen die Leute nicht in ihre Mobiltelefone rein oder krümeln alles voll, sie sitzen gerade und unterhalten sich gesittet. Das mag jetzt übertrieben klingen, aber die Umgebung formt auch unser Verhalten.

Es kann nicht alles technizistisch betrachtet werden. Manchmal geht es auch darum, (nicht messbare) Atmosphären zu schaffen.

Wir verstehen unser Handwerk auch als gesellschaftliche Verantwortung. Sich mit der Schönheit der Erlebens zu beschäftigen, sei es geschäftlich oder im privaten Umfeld, der Familie, ist der erste Schritt, um der Welt differenziert gegenübertreten zu können. Das große Thema „Essen und Ernährung“, das seit einigen Jahren en vogue ist, veranschaulicht das ganz schön: Das Essen der Großmutter, mit dem sich Erinnerungen verbinden, Zeit oder Liebe ist nicht zu vergleichen mit den 10 Minuten Fast Food Essen auf dem Plastiktablett. Da liegen Welten dazwischen. Das gilt für andere Bereiche des Lebens genauso. Dafür müssen wir sensibilisieren.

Welche Rolle spielt bei Ihnen eigentlich noch die eigene Möbelproduktion?

Die eigene Möbelproduktion ist ein alter Traum von uns, aber wir stellen auch fest, dass das ein ganz anderer Markt ist. Es gibt andere, die das besser können. Wir entwickeln tatsächlich Möbel, auch in Serie, z.B. für das Hambacher Schloss, aber das bleiben Kleinserien. Das zu vervielfältigen ist kein wirkliches Geschäft für uns.

Welche Projekte aus der Vergangenheit sind Ihnen aufgrund ihrer Komplexität im Gedächtnis geblieben?

Unsere herausforderndsten Projekte kommen in der Tat aus dem Yacht-Bereich. Hier ist alles möglich, und alles soll möglich gemacht werden. Designer und ihre Auftraggeber suchen hier das Einmalige, exotische Materialien, Dinge, die man noch nie gesehen hat. Wenn Naturmaterialien zum Einsatz kommen, werden diese auf sehr spezielle Art und Weise bearbeitet, Furniere werden z.B. gebleicht, gefärbt, gesalzen, lackiert, usw. Was passiert eigentlich, wenn eins von diesen Paneele kaputtgeht, kann das ausgetauscht werden in 5 Jahren? Das sind technologische Fragen, die entstehen. Können sich Schiebetüren auch noch bei starkem Seegang bewegen? Nicht so ohne Weiteres, dafür muss man dann motorische Antriebe entwickeln und einbauen.

Wie sieht es mit öffentlichen Auftraggebern aus?

Wir haben mit den öffentlichen Aufträgen angefangen. Wir verstehen unser Handwerk als gesellschaftliche Verpflichtung und deshalb ist uns wichtig, dass wir auch öffentlich sichtbar sind. Im Hinblick auf öffentliche Auftraggeber haben wir natürlich das Problem, das im öffentlichen Vergaberecht der günstigste Anbieter genommen werden muss. Aufgrund unserer Arbeitsweise und Strukturen sind wir da oft schon einmal von Anfang an raus. Am Ende brauchen Sie auch im öffentlichen Sektor Menschen, die sich verantwortlich für ein Projekt fühlen, die eine besondere Umgebung schaffen wollen. Zum Beispiel ein Bibliothekar, der keine sterile Bibliotheksarchitektur möchte, sondern einen kontemplativen Ort schaffen will. Jemanden, der sagt: Ich kenne da jemanden, der das kann, lasst uns mal mit denen reden. Sparen ist die eine Seite, verantwortungsvoll mit den Projekten und den öffentlichen Geldern umzugehen, ist die andere.

Dieses Interview ist ein Auszug aus dem Buch:
Handmade in Germany. Manufactory 4.0.
Herausgeber: Pascal Johanssen
Gebundene Ausgabe: 240 Seiten
Verlag: ARNOLDSCHE; Auflage: 1 (1. Juli 2019)
Sprache: Englisch, Deutsch
ISBN-10: 3897905418
ISBN-13: 978–3897905412
Webseite:
http://www.dwh.de